Die Orgel <Königin der Instrumente>

Windwerk

Die zugeführte komprimierte Luft, der so genannte Wind, wurde bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch große Blasebälge (Schöpf- und Keilbälge) erzeugt, die mit den Füßen getreten wurden. Je nach Orgelgröße benötigte man bis zu zwölf Kalkanten (Balgtreter). Danach wurden zunehmend elektrische Gebläse (Winderzeuger) eingesetzt. Dazu ist aber in jedem Fall ein Magazinbalg zur Regulierung und Stabilisierung des Winddrucks nötig. Von diesem Balg aus wird der Wind durch meist hölzerne Windkanäle weiter in die Windladen geleitet. Auf einen Magazinbalg kann bei Orgeln mit Falten- oder Keilbälgen unter Umständen auch verzichtet werden (bei Nachrüstung mit elektrischem Winderzeuger), oder wenn (bei kleineren Orgeln) die Stabilisierung des Spielwindes durch Ladenbälge unter den Windladen erfolgt.

Im gegenwärtigen Orgelbau werden weiterhin elektrische Gebläse verwendet. Bei Restaurierungen vormoderner Instrumente und bei Neubauten in einem vormodernen Orgelstil finden zunehmend auch die dem jeweiligen Instrumententypus historisch entsprechenden Balganlagen Verwendung. Dabei besteht die Möglichkeit, zusätzlich ein elektrisches Gebläse einzubauen oder die Bälge über einen Elektromotor statt eines Bälgetreters zu bewegen. Für ältere Musik wird die so erzielte Lebendigkeit und Ruhe (Wirbellosigkeit) des Orgelwindes – oft als Atmen der Orgel beschrieben – geschätzt, für Musik seit dem fortgeschrittenen 19. Jahrhundert hingegen absolute Windstabilität.

Spieltisch

Eine Orgel wird vom Spieltisch aus gespielt. Größere Orgeln setzen sich aus Teilwerken zusammen, denen meist jeweils eine eigene Klaviatur zugeordnet ist. In großen Orgeln sowie iberischen Barockorgeln gibt es aber oft mehr Teilwerke als Manuale. Die nicht fest mit einem Manual ausgestatteten Teilwerke werden dann an ein Manual mittels Sperrventilen oder Koppeln angeschaltet. Im englischsprachigen Raum werden solche Teilwerke als floating divisions (kurz: floating) bezeichnet. Der Organist bedient die Manual genannten Klaviaturen mit den Händen, während das Pedal mit den Füßen gespielt wird.

Die Manuale heutiger Orgeln haben meist einen Tonumfang von C bis g3 (bei Neubauten nur noch selten bis f3), aber gelegentlich auch bis a3 oder c4. Das Pedal weist in der Regel einen Tonumfang von C bis f1, manchmal auch bis g1 oder a1 auf. Orgeln der vergangenen Jahrhunderte haben oft einen kleineren Tonumfang. So ist bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Tonumfang im Manual bis c3 oder d3, im Pedal bis c1 oder d1 die Regel. In der Basslage ist bei alten Orgeln häufig die kurze oder die gebrochene Oktave zu finden. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurde oft noch auf das tiefe Cis verzichtet. Die Manuale werden in der Regel mit römischen Zahlen abgekürzt und von unten nach oben durchgezählt. Kleine Orgeln haben ein oder zwei Manuale, mittlere Orgeln zwei oder drei sowie große Orgeln drei bis fünf (vereinzelt auch sechs oder sieben) Manuale. Iberische Barockorgeln mittlerer Größe verfügen gelegentlich nur über ein Manual. Ein Pedalwerk ist in sehr kleinen Orgeln nicht immer vorhanden. Im historischen Orgelbau (z. B. Niederlande, 17. und 18. Jahrhundert) gab es auch große, mehrmanualige Instrumente ohne selbstständiges Pedal.

Windlade

Das Herz der Orgel bilden die Windladen, auf denen die Pfeifen stehen. Vom Spieltisch aus werden die Bewegungen der Tasten mechanisch, pneumatisch oder elektrisch über die Traktur an die Windlade geleitet. Dort befinden sich unter den Pfeifen Ventile, die sich entsprechend öffnen oder schließen. Wird eine Taste gedrückt, kann der Wind aus der Windlade durch das Ventil in die Pfeife strömen und diese zum Klingen bringen. Zusätzlich gibt es noch einen Absperrschieber oder ein Ventil mit der Aufgabe, den Wind für die nicht gezogenen Register zu blockieren.

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Es gibt verschiedene Bauformen von Windladen. Grundsätzlich unterscheidet man – je nach Reihenfolge der Ventile für Ton und Register – zwischen Tonkanzellenladen (Schleiflade, Springlade) und Registerkanzellenladen (Kegellade, Taschenlade, Membranlade) und Kastenladen (ohne Kanzellen). Bei einer Tonkanzellenlade stehen alle zu einer Taste gehörenden Pfeifen auf einer Kanzelle, bei der Registerkanzellenlade alle, die zu einem Register gehören, und bei der Kastenlade stehen alle Pfeifen auf einer nicht in Kanzellen geteilten Windlade. Die älteste Windladenbauform mit einzeln registrierbaren Pfeifenreihen ist die Schleiflade, die wegen ihrer Robustheit und klanglichen Vorteile inzwischen auch bei modernen Orgeln wieder nahezu ausschließlich zum Einsatz kommt.

Werkstoffe

Der traditionelle Hauptwerkstoff für den Bau einer Orgel ist Holz. Aus Holz werden das Gehäuse, die Windladen, die Tasten und ein Teil der Pfeifen gefertigt. Bei mechanisch gesteuerten Instrumenten findet Holz oft auch für die Mechanik Verwendung. Für die Metallpfeifen kommen meist Zinn-Blei-Legierungen zum Einsatz (sogenanntes Orgelmetall), seit dem 19. Jahrhunderts auch Zink und im 20. Jahrhundert Kupfer (vereinzelt auch Porzellan, Plexiglas und Kunststoffe). Die weißen Tasten der Klaviatur wurden meist mit Blättchen aus Rinderknochen belegt, bei wertvollen Orgeln auch mit Elfenbein, die schwarzen sind oft aus massivem Ebenholz oder geschwärztem Birnbaum, heute oft Grenadill. Alte Orgeln haben oft schwarze Untertasten und weiß belegte Obertasten, später war es umgekehrt. Bei neuen Orgeln finden sich beide Bauweisen.

Register

Eine Orgel hat mehrere Pfeifenreihen, die jeweils aus Orgelpfeifen gleicher Bauart und Klangfarbe bestehen. Eine Pfeifenreihe (manchmal auch mehrere) wird zu einem Register zusammengefasst, das vom Spieltisch aus an- und abgeschaltet werden kann. Die Bedienung der Register erfolgt meist über Registerzüge oder Manubrien genannte Knäufe, die man zum Einschalten herausziehen und zum Abschalten wieder hineinschieben muss (mechanische Traktur); daher rühren die alten Bezeichnungen „Ziehen“ und „Abstoßen“ für das Ein- und Ausschalten von Registern.

Durch planvolles Kombinieren verschiedener Register, die so genannte Registrierung, können unterschiedliche Klangfarben und Lautstärken eingestellt werden. Die Kunst des Organisten besteht darin, aus dem vorhandenen Klangbestand eine Registrierung zu finden, die der zu spielenden Musik am besten entspricht. Jede Epoche bevorzugte ein jeweils eigenes, spezielles Klangbild, das man als Organist kennen sollte. Man kann daher nicht auf jedem Instrument jedes Stück wirklich gut interpretieren. Trotz der Möglichkeit einer gewissen „Typisierung“ gibt es keine zwei gleichen Orgeln, da jedes Instrument in Größe und Ausführung an seinen Aufstellungsraum angepasst oder vom Geschmack der Zeit seiner Entstehung abhängig ist.

Die Zusammenstellung der Register einer Orgel einschließlich der Spielhilfen (Koppeln etc.), nennt man die Disposition einer Orgel. Sie wird vom Orgelbauer beim Erstellen des Instrumentes mit dem Auftraggeber abgesprochen und bestimmt die Einsatzmöglichkeiten der Orgel.

Unterscheidung nach Tonhöhe

Die Register können verschiedene Tonhöhen haben, wobei die Tonhöhe durch die sogenannte Fußtonzahl angegeben wird. So bezeichnet man ein Register in Normallage (d. h. die Taste c1 bringt den Ton c1 zum Klingen) als 8′-Register, da die Länge der tiefsten Pfeife, groß C, eines offenen Labialregisters ungefähr 8 Fuß beträgt (1 Fuß = ca. 30 cm). Ein um eine Oktave tieferes Register ist ein 16′-Register, 4′ bezeichnet ein um eine Oktave höheres Register. Quinten haben die Fußtonzahlen 22/3′ oder 11/3′, Terzen zum Beispiel 13/5.

Die verschiedenen Tonlagen bilden die Obertonreihe ab. Durch Kombination eines Grundregisters (in der Regel 8′-Lage) mit einem oder mehreren Obertonregistern (etwa 22/3′ oder 13/5′) werden fehlende Obertöne hinzugefügt oder vorhandene verstärkt, wodurch sich die Klangfarbe ändert.

Unterscheidung nach Bauart

Die Register unterscheiden sich neben der Tonhöhe (Fußlage) auch durch ihre Bauart und damit durch Tonansatz, Obertonanteil (Klangfarbe) und Lautstärke.

Nach der Art der Tonerzeugung unterscheidet man zwischen Lippenpfeifen oder Labialen (Tonerzeugung wie bei der Blockflöte) und Zungenpfeifen oder Lingualen (Tonerzeugung wie bei einer Klarinette). Labialpfeifen können offen oder gedackt sein, die gedackten Pfeifen klingen bei gleicher Länge eine Oktave tiefer. Weitere Unterschiede gibt es bei Materialien, Pfeifenform und der Mensur (den Verhältnissen der verschiedenen Pfeifen-Abmessungen). Daneben gibt es die gemischten Stimmen. Dabei handelt es sich um Register, bei denen für jede Taste mehrere Pfeifen erklingen. Dazu gehören etwa die Klangkronen (oder Mixturen) und Farbregister wie die Sesquialtera.

Nebenregister

Bei den Registerzügen eingeordnet ist der Tremulant. Er verändert periodisch den Winddruck und sorgt so für ein Schwingen des Tones, meist als kombiniertes Tremolo und Vibrato. In Orgeln neuerer Zeit ist die Geschwindigkeit der Schwingung mitunter einstellbar. Der Tremulant wirkt auf alle Register des Werkes, in dem er eingebaut ist. Bei alten Orgeln gibt es manchmal einen Tremulanten für die gesamte Orgel, bei manchen Orgeln auch einen nur auf ein bestimmtes Register wirkenden (etwa Schwebeflöte, Vox humana).

Spezielle Effektregister, wie Glockenspiele oder Pauken, ergänzen bei manchen Orgeln die Disposition.

Spielhilfen

Spielhilfen sind zusätzliche Funktionen, die dem Organisten das Spiel erleichtern, indem sie beispielsweise schnelles Umregistrieren ermöglichen.

Koppeln

Koppeln erlauben das gleichzeitige Spiel von verschiedenen Werken auf einem Manual oder das Spiel der Manualregister im Pedal. So ist es möglich, die Register verschiedener Manuale zugleich zu spielen und eine größere Lautstärke, aber auch zusätzliche Kombinationsmöglichkeiten zu erreichen. Durch sogenannte Suboktav- oder Superoktavkoppeln werden die Töne mitbetätigt, die eine Oktave unter beziehungsweise über den gespielten liegen. Sogar Quintkoppeln wurden zeitweise gebaut.

Koppeln werden bezeichnet, indem zuerst das hinzugekoppelte Manual angegeben wird und dann das Manual, auf das die Koppel wirkt, z. B. „II–I“ (zweites Manual wird an das erste gekoppelt) oder „HW/Ped“ (Hauptwerk wird an das Pedal gekoppelt). Bei Oktavkoppeln kann die Versetzung in Fußzahlen angegeben werden, z. B. „III–I 4′“ (drittes Manual wird eine Oktave höher spielend an das erste gekoppelt).

Registrierhilfen

Als Registrierhilfen bezeichnet man Einrichtungen an der Orgel, die dem Organisten die Möglichkeit bieten, Registrierungen flexibel zu ändern.. Die ersten wirklichen Registrierhilfen waren die von Aristide Cavaillé-Coll gebauten Jeux de Combinasion, mit denen man per Fußhebel alle Zungen und Mixturen eines Teilwerks ausschalten konnte. Vor allem Orgeln der späteren Romantik verfügen häufig über feste Kombinationen. Damit lassen sich vom Orgelbauer festgelegte Registerkombinationen auf Knopfdruck abrufen. Feste Kombinationen sind meist nach Lautstärkegraden abgestuft, etwa p, mf, f, ff

Zur gleichen Zeit kamen die einstellbaren freien Kombinationen auf. Größere pneumatische Orgeln bieten in der Regel zwei oder drei freie Kombinationen, moderne Orgeln haben oft elektronische Setzer, auf denen eine größere Anzahl an Registrierungen einprogrammiert werden kann. Die Registerfessel blockiert die sofortige Änderung der Registrierung, so dass der Spieler eine neue Registrierung vorbereiten kann, die dann auf Knopfdruck realisiert wird.

Für romantische Orgelmusik gibt es den Registerschweller (Generalcrescendo, Walze, Rollschweller), der die Register der Reihe nach einschaltet (nach Lautstärke geordnet), bis alle Register erklingen (Tutti). Damit ist bei großen Orgeln ein nahezu stufenloses Crescendo und Decrescendo zwischen Pianopianissimo und Fortefortissimo möglich.

Weitere Registrierhilfen sind die vor allem im französischen Orgelbau der Romantik vorkommenden Einführungstritte oder Gruppentritte, mit denen sich bestimmte Gruppen von Registern gemeinsam zu- oder abschalten lassen. Sperrventile finden sich schon in alten Orgeln um die Windzufuhr zu ganzen Werken abzustellen. Im deutschen romantischen Orgelbau finden sich Abschalter wie z. B. „Zungen ab“ oder „Crescendo ab“, um einzelne Registergruppen oder Spielhilfen abstoßen zu können.

Schwellkasten

Schwellkästen können den Ton der in ihnen aufgestellten Register (Schwellwerk) durch das Schließen von Jalousien oder Klappen stufenlos dämpfen. Diese Einrichtung wurde in der Zeit der Romantik vor allem in größere Orgelwerke eingebaut, um eine dem Orchesterklang angepasste Möglichkeit der Dynamik zu erhalten. Ein Vorläufer des Schwellwerkes waren die Echokästen spanischer Orgeln des 18. Jahrhunderts. Schwellkästen befinden sich meistens innerhalb der Orgel, selten sind sie wie auf dem Bild im Prospekt angebracht, dies kommt aber auch nur bei modernen Prospekten vor. Schwellen und Schwellkästen sind in der Regel aus Holz gebaut, selten werden auch andere Materialien verwendet, um eine höhere Wirkung zu erhalten, Beispiel: Rieger-Orgel der Basilika Vierzehnheiligen (Quarzsand).

 

 
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 Rudolf E. Herrmann  •  Tschudiguet 7  •  8762 Schwanden • 2010